NOZ 9.01.23: Rettungsdienst über Angriffe auf den Festen
Attacken und verbale Angriffe gegen Einsatzkräfte sind kein neues Phänomen, jedoch haben die Übergriffe auf Polizei, Feuerwehr sowie Rettungskräfte in einigen Großstädten in der Silvesternacht nun ein neues Ausmaß angenommen. Die ehrenamtlichen Helfer vom DRK Melle haben in der Vergangenheit ebenfalls Erfahrung mit Anfeindungen machen müssen.
Randalierer schießen in Berlin in der Silvesternacht Raketen auf Einsatzwagen und werfen Böller auf Rettungskräfte: Es sind Bilder, die viele Menschen schockierten, und diese extreme Gewaltbereitschaft löste im Anschluss eine politische sowie gesellschaftliche Debatte aus.
Melles DRK-Kreisbereitschaftsführer Jens Walkenhorst ist seit über 30 Jahren beim Deutschen Roten Kreuz und hat schon vieles bei den Einsätzen im erweiterten Rettungsdienst sowie im Sanitätsdienst erlebt. „Wir sind bei den großen Veranstaltungen wie der Karibischen Nacht, die Feier am 1. Mai und bei den Schützenfesten immer mit dabei. Tätliche und verbale Angriffe mussten wir in der Vergangenheit auch bereits erleben, dies ist aber kein neues Phänomen“, sagt Walkenhorst. So manch ein Angriff ist im Anschluss auch schon vor Gericht verhandelt worden.
Mangelnder Respekt
„Wir haben in der jüngsten Vergangenheit aber gemerkt, dass vor allem die Respektlosigkeit gegenüber den Einsatzkräften zunimmt. Dieses Verhalten ist meistens im Zusammenhang mit exzessivem Alkoholkonsum zu sehen.“ Besonders der Konsum von hochprozentigem Alkohol sei bei vielen jüngeren Party-Gästen ausschlaggebend für diese oftmals verbalen Angriffe. „Solche extremen Attacken wie in Neukölln oder Hamburg haben wir hier auf dem Lande zwar nicht, aber es herrscht mittlerweile schon ein rauer Ton uns gegenüber. Und vereinzelt sind auch immer wieder Gäste dabei, die auf Krawall und Streit aus sind“, sagt der DRK-Kreisbereitschaftsführer.
Alkoholzuwachs nach der Pandemie
Oftmals fahren die Einsatzkräfte zu gewissen Veranstaltungen deshalb mit einem größeren Team hin, wie DRK-Gruppenführer und Sanitäter Jan Meyer schildert. „Häufig kennen wir schon das Konfliktpotential bei den Events und gerade im vergangenen Jahr hat sich wieder gezeigt, dass sich diese Vorsicht lohnt. Denn es gab viele schwierige Stimmungslagen und einen extremen Alkoholzuwachs nach der langen Corona-Pause.“
„Es wurden Gläser nach uns und auf das Fahrzeug geworfen.“
Jan Meyer
DRK-Gruppenführer und Sanitäter
Eskalationen auf Schützenfest Wellingholzhausen
Vor Corona seien die jungen Partyleute durchaus friedlicher gewesen, meint Meyer. Im vergangenen Jahr sei es jedoch zunehmend eskaliert. „Wir hatten viel mehr mit konfliktbereiten Leuten auf diesen Veranstaltungen zu tun“, so der DRK-Gruppenführer. Die Karibische Nacht und das Schützenfest in Wellingholzhausen seien ihm somit noch negativ aus dem Sommer in Erinnerung geblieben. „Es wurden Gläser nach uns und auf das Fahrzeug geworfen. Die ganze Stimmung war sehr aufgeheizt. Auch der Polizeitrupp vor Ort wurde angegangen.“ Die aggressive Stimmung sei auch am Rande der Feier spürbar gewesen, da sich immer wieder Schlägereien auf dem Gelände ereigneten.
Viele Anklagen verlaufen im Sande
Dabei funktionieren für gewöhnlich die Absprachen und Platzverweise der Polizei bei solchen Großveranstaltungen ganz gut, sagt Meyer. Besonders schwierig bei den körperlichen oder auch verbalen Attacken sei es für die Einsatzkräfte jedoch, die Beweislast im Nachhinein zu erbringen. „Meistens steht Aussage gegen Aussage und die Anklage wird fallen gelassen. Dies ist jedoch ein deutlich schlechtes Signal, wenn viele Verfahren im Sande verlaufen.“
Auch DRK-Kreisgeschäftsführerin Ines Rose kann nicht nachvollziehen, warum manche Verfahren so lange auf sich warten lassen. „Für all diese Taten und Angriffe gibt es bereits teilweise harte Bestrafungen und Folgen für die Täter. Aber die Durchsetzung ist hier sehr schwierig, denn der Zeitfaktor spielt eine entscheidende Rolle. Wir sind bei diesen Verfahren in der Beweispflicht und wenn Monate dazwischenliegen, kann man viele Inhalte nicht mehr so wiedergeben, wie man sie zeitnah wiedergegeben hätte“, erklärt Rose.
Ehrenamtliche mit Bodycams?
Vor allem will man vermeiden, dass Einsatzkräfte zukünftig mit Bodycams für die Beweislast ausgestattet werden, sagt Walkenhorst. „Soweit darf es nicht kommen. Für die Polizei ist das wertvoll, für uns als ehrenamtliche einer Hilfsorganisation erwarte ich, dass uns der Respekt entgegengebracht wird. Wir wollen Hilfe leisten und das muss den Leuten bewusst sein.“ Vor allem will man Ehrenamtliche mit solchen Maßnahmen nicht abschrecken.
„Es gibt allgemein sowieso einen rückläufigen Trend, was das Ehrenamt angeht und das wäre ein großes Hindernis, wenn man um die eigene Sicherheit bangen muss“, sagt Meyer. Deeskalationstraining und Selbstverteidigungskurse werden inzwischen auch beim DRK für die Rettungskräfte angeboten. „Das Thema Kommunikation spielt immer eine große Rolle, um die Situation zu entschärfen. Das haben wir früher zwar nie gebraucht, jetzt aber schon. Und das zeigt, dass die Hemmschwellen deutlich gesunken sind“, so der DRK-Kreisbereitschaftsführer.
Auch viele Gaffer bei Einsätzen
Auf Nachfrage bei der Feuerwehr in Melle schildert Sprecher Martin Dove zwar keine ähnlichen eskalierenden Attacken auf die Einsatzkräfte, er erkennt jedoch einen anderen Trend: „Wir nehmen zumindest ein zunehmendes Anspruchsdenken bei den Bürgern wahr – seien es Betroffene oder auch Gaffer. Dass Menschen bei Unglücken hinschauen, ist auch kein neues Phänomen. Bei einem Großbrand einer ehemaligen Küchenfabrik in Melle-Mitte gab es im Jahr 2007 einen derart großen Auflauf an Schaulustigen, dass die Einsatzmaßnahmen dadurch behindert wurden.“
Ein Artikel von Ina Wemhöner